Milen Radev
Das bulgarische Kulturinstitut in Berlin beteiligt sich auch dieses Jahr am Europäischen Monat der Fotografie. Bis zum 11. November werden dort Arbeiten von Florian Bachmeier aus Deutschland und Ramin Mazur aus Modawien gezeigt.
Die Künstler nehmen uns mit auf eine Reise entlang der Schwarzmeerküste von Moldawien und seinem abgespaltenen Landesteil "Transdnistrien" aus, über das ukrainische Krim, an der Donaudelta vorbei und über Bulgarien bis nach Istanbul.
Ich wurde vom Veranstalter, dem Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost gebeten, ein paar Worte zur Eröffnung der Ausstellung am 31.10. zu sagen. Hier bringe ich die Stichworte dazu, damit sie doch nicht nur als Schall verklungen sein sollen:
Heute Abend hat uns das Schwarze Meer versammelt, reflektiert in den Arbeiten zweier Künstler, die aus zwei weit voneinander entfernten Kulturkreisen kommen – aus Deutschland und aus Moldawien.
Und doch haben sie den heutigen Schwarzmeerraum auf ähnliche Weise empfunden und in ihren Arbeiten verwandte, miteinander korrespondierende, ineinander übergehende, sich gleichsam fortsetzende, sich ergänzende Augenblicke festgehalten.
Augenblicke voll trauriger Besinnung, geronnener Melancholie. Eine übergreifende Schicksalsergebenheit, wie wir sie hier in Westeuropa schon lange nicht mehr kennen. Augenblicke, die sich nur aus jahrzehntealter Erfahrung mit Bevormundung und Unterdrückung, mit materieller und geistiger Verwahrlosung durch die Obrigkeit speisen können.
Wir stehen sprachlos vor der Kargheit des Lebens auf diesen Inseln des russisch-sowjetischen Archipels, der gerade in diesen Monaten vor unseren Augen aus der Versenkung wiederauftaucht.
Und immer wieder blitzen durch die elegische, verhaltene, düstere Stimmung die Spannungen auf, die sich entlang dieser an sich schönen Meeresküste aufbauen. Gewalt und frühere Verfolgungen greifen in die heutige Zeit ein und prägen das Leben der Menschen und ihre zerfallende Umwelt.
Fast unerträglich wird hier und da diese Spannung zwischen der Großmachtsucht der ewig Gestrigen, der Sowjetnostalgiker und der Hoffnungslosigkeit, der Trauer und ja – fast Resignation – der Anderen, der aufrichtig Gläubigen, der Krim-Tataren, der einfachen Menschen…
Das Schwarze Meer, das Pontos Axeinos der Antike – das heißt „das ungastliche Meer“ macht hier seinem alten Namen alle Ehre…
Und doch gab es auch Zeiten, da das Schwarze Meer als ein gelobter Ort galt, als die Heimstätte des sagenumwobenen Goldenen Vlieses. Auf die Suche nach diesem mythischen Schatz machten sich ja Jason und seine Argonauten mit großer Sehnsucht und Hoffnung über die Wellen des Meeres in Richtung Kaukasus auf die Reise.
Versuchen wir nun in Gedanken, es ihnen gleich zu tun. Wir wollen den Blick von den heutigen Niederungen des harten Lebens entlang der Schwarzmeerküste lösen. Dieses Schwarze Meer nämlich hat in den letzten Jahren für Bulgarien, für viele Bulgaren, die sich dafür interessieren, eine völlig neue, hoffnungsfrohe Perspektive gewonnen.
(Für meinen Freundes- und Bekanntenkreis in BG hat die Schwarzmeerküste als Urlaubsort seit langem ausgedient. Wer will sich schon die Massen russischer Touristen, garniert mit bulgarischer Halb- und Unterwelt und die protzigen, neureichengerechten Bettenburgen antun? Griechenland heißt die begehrte Alternative: Nichts wie raus aus Sofia, nach Süden, an die so nahe gelegene griechische Ägäis, wo die Preise stimmen, wo die Bedienung freundlich ist und noch nicht jede zweite Immobilie einem Russen gehört.)
Nein, nicht neue touristische Chancen habe ich im Sinn sondern Schätze einer ganz anderen Art!
Sowohl Rumänien als auch Bulgarien haben sich in den letzten Jahren für große westliche Konsortien geöffnet. Gesellschaften wie Exxon, Total, OMV haben sich an Ausschreibungen beteiligt und teilweise schon durch Bohrungen riesige Öl- und Erdgas-Vorkommen im rumänischen und bulgarischen Kontinentalschelf festgestellt. Rumänien ist bereits dabei, Gas in nicht unbeträchtlichen Mengen aus dem Schwarzen Meer zu fördern. Und zu exportieren!
In dem vor der bulgarischen Küste liegenden Gasfeld „Chan Asparuch“ und besonders im noch kaum erforschten Feld „Teres“ wurden gigantische Vorkommen an Erdgas festgestellt bzw. vermutet. Im Falle der erfolgreichen Förderung wäre nicht nur die mehr als 90%-ige Abhängigkeit Bulgariens von überteuertem russischen Erdgas hinfällig, nein Bulgarien könnte sich dann zu einem großen Exporteur von Gas in Richtung Westeuropa verwandeln. Was das für ein befreiender Faktor für die Politik des Landes, für seine echte Unabhängigkeit, für die Wirtschaft, für die Lebensqualität bedeuten würde, brauche ich nicht extra zu unterstreichen.
Denn genau hier liegt der springende Punkt bei dem ganzen Streit um die Pipeline South Stream, der seit 3 Jahren die bulgarisch-russischen Beziehungen überschattet und auch die internen bulgarischen Debatten dominiert:
Russland besteht auf seine Monopolstellung bei der Befüllung des bulgarischen Teilstücks und erklärt kurzerhand dies sei keine Pipeline, sondern eine „Verbindungsleitung“. Deswegen gelte in diesem speziellen Fall die gemeinsame europäische Energiepolitik nicht und ganz besonders nicht das sogenannte „dritte Energiepaket“, das die Öffnung der Pipelines auch für weitere Lieferanten festschreibt.
Der russische Würgegriff auf die bulgarische Energieversorgung hat lange Tradition. Dank der kompletten Abhängigkeit des Landes von russischen Energieträgern ließ es sich hervorragend über Jahrzehnte als „treuesten Vasallen“ Moskaus in der Region steuern. Seine politische Klasse hängt bis heute mit vielen ihrer Vertretern am russischen Tropf.
Jeder Versuch Bulgariens, eine Alternative für die russischen Lieferungen zu erschließen, wird von Russland und von russischfinanzierten Kräften offen und verdeckt bekämpft.
Folgende Geschichte kenne ich von einem Augenzeugen, der sie vom gestürzten Diktator Shivkov persönlich gehört haben will: 1976 unterschrieb Shivkov einen Erlass, der Bohrerkundungen nach Erdgas vor der bulgarischen Schwarzmeerküste anordnete. Keine 24 Stunden später musste der Parteichef alles zurücknehmen, den Erlass eigenhändig zerreißen, dies von einer Fernsehkamera aufnehmen lassen und den Film als Beleg nach Moskau schicken.
Bulgariens Abhängigkeit ist eben ein hohes Gut für Moskau.
Nicht zufällig nannte 2006 der russische Botschafter in Brüssel Tschishov in einem Anfall seltener Aufrichtigkeit Bulgarien „unser Trojanisches Pferd in der EU“.
Um sich von dieser unrühmlichen Rolle schneller befreien zu können, setzt man nun in Bulgarien stark auf das Schwarze Meer. Das Meer, das uns, dank dieser beeindruckenden Bilder, heute Abend zusammengeführt hat.
In der Hoffnung, dass es sich von einem „ungastlichen“ wieder in ein „gastliches“ Meer verwandelt…
(Jedes Foto führt einen Titel, dazu muss es durch Anklicken in volle Größe geöffnet werden. Man blättert vor und zurück mit Hilfe der Pfeile unten rechts und links)
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